Mit dem Sturmgewehr durch Budapest. Europas Rechtsextreme gedenken ihrer Kriegshelden (09.02.2019)

Jahr für Jahr pilgern tausende Rechtsextreme aus ganz Europa zum Tag der Ehre nach Budapest. Legale Parteien und verbotene Paramilitärs marschieren Seite an Seite in Ungarns Hauptstadt auf. Selbst offenste NS-Verherrlichung bleibt dabei ohne Konsequenzen.

Der Treffpunkt der Neonazis liegt am Vorplatz der Széll Kálmán tér, einer belebten Budapester Metro-Station. Ihren eigentlichen Kundgebungsort haben die Veranstalter_innen im Vorfeld geheim gehalten. Um die Mittagszeit kommen die ersten Gruppen an und verteilen sich über den Platz. Sie sind unschwer zu erkennen: Springerstiefel, Tarnmuster, rechtsextreme deutsche Labels, Runen und nordische Symbolik. Auf einem olivgrünen Militärrucksack prangt ein Hakenkreuz, dazu die Lettern „Heil Hitler!“. Sie sind mit Filzstift in unbeholfener Schrift quer über das Gepäckstück gemalt. Sein Träger ist blutjung, vielleicht sechzehn Jahre alt. Am becsület napja, dem Tag der Ehre, kein ungewöhnliches Bild.

Rechtsextreme und Neonazis aus diversen europäischen Ländern, vor allem aus Osteuropa, treffen jedes Jahr am zweiten Februarwochenende in Budapest, um ihrer gefallenen ,Helden‘ zu gedenken. Diese ,Helden‘ sind Soldaten der Wehrmacht, der SS und ungarischer faschistischer Verbände, die 1945 gegen die Rote Armee kämpften. Sie hatten kurz vor Kriegsende einen aussichtslosen Versuch gestartet, trotz Waffenstillstand die Belagerung Budapests zu durchbrechen, waren den sowjetischen Truppen jedoch deutlich unterlegen. Über dreißigtausend Soldaten fanden so den Tod, lediglich einige hundert überlebten das wahnwitzige Manöver. Ungarische Neonazis erklären dieses Ereignis zum Tag der Ehre. Ihr Aufruf zum Gedenken findet europaweit Gehör in der extremen Rechten. 

Die Anziehungskraft der Veranstaltung ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die ungarischen Behörden jegliche Geschichtsverfälschung, jede Verherrlichung des Nationalsozialismus zulassen. Besonders für Neonazis aus jenen Staaten, die nationalsozialistische Wiederbetätigung unter Strafe stellen, ist das äußerst attraktiv.

Diese Duldung durch den ungarischen Staat ist wenig überraschend. Ungarns Regierungspartei Fidesz selbst hält regelmäßig Gedenkveranstaltungen zu diesem historischen Ereignis ab, bei denen ihre Parteivertreter den Ausbruchsversuch der faschistischen Truppen als „beispielhaft“ loben. Die Verbrechen jener Soldaten bleiben selbst beim offiziellen Gedenken unerwähnt. Kein Wort sind die von ihnen verübten Massaker an den Budapester Juden und Jüdinnen wert, die noch in den letzten Stunden vor der Niederlage begangen wurden. Vielmehr drücken die Teilnehmenden am Fidesz-Gedenken mit Uniformen, die jenen der faschistischen Pfeilkreuzler nachempfunden sind, ihre Identifikation mit dem mörderischen Regime aus. Es waren jene Pfeilkreuzler, die bis zur Befreiung Ungarns die Kollaborationsregierung stellten. Als die Sowjets die Stadt erreichten, war das Donauufer gesäumt von den Leichen jener Menschen, die von den faschistischen Truppen unmittelbar vor dem Ende der NS-Gräuelherrschaft massenhaft erschossen wurden. Diese Tilgung jeglicher Schuld, der Geschichtsrevisionismus und die Heroisierung der Täter des Nationalsozialismus zieht sich durch alle Veranstaltungen, die die Eroberung Budapests durch die Sowjets zum Thema haben. 

„Weil es ein freies Land ist“

Nach und nach verlassen die Neonazis den Metro-Vorplatz. Auf dem kurzen Weg vom Treffpunkt zur ersten Gedenkkundgebung bleibt mein Blick am T-Shirt eines jungen Mannes hängen. Es zeigt das Konterfei Adolf Hitlers. Bereitwillig hält er den Aufdruck im Vorbeigehen in die Kamera einer Journalistin, seine Miene zwischen Stolz und Trotz. Kurz darauf bleibt er stehen. Ein älterer Mann in abgenutzter Kleidung, der neben dem Eingang eines Supermarktes am Boden kauert, hat die Aufmerksamkeit des Neonazis erregt. Angewidert wendet er sich dem Bettelnden zu und hebt die Hand zum Hitlergruß. Wie all die anderen geht der Mann unbehelligt wenige Straßen weiter in den Városmajor, einen großen Park, dessen Zentrum ein steinernes Soldatendenkmal bildet. Die Eintreffenden werden von einer Gruppe hünenhafter Ordner empfangen. Sie sind nicht zu übersehen – und nicht zu umgehen. Mit einem Blick auf meine Fotoausrüstung schüttelt einer von ihnen den Kopf. „Presse nicht erwünscht“, gibt er auf Englisch zu verstehen, „kein Durchgang, keine Fotos“. „Weil es ein freies Land ist“, erklärt der Ordner schulterzuckend. Mehrere Polizist_innen stehen unmittelbar daneben. Belustigt. Tatenlos. Die Kontrolle über die Situation liegt vollkommen in der Hand der Neonazis, die sich angesichts dieser Machtposition sichtlich wohlfühlen.

Etwa dreihundert Rechtsextreme kommen im Városmajor zusammen. Viele der anwesenden neonazistischen Gruppen tragen Fahnen mit sich, manche haben Kränze mitgebracht. Darunter die in Österreich verbotene Gruppe Blood & Honour, die auch zum Kreis der Organisator_innen des Gedenkens zählt. Wie ihr paramilitärischer Arm, Combat 18, kann auch sie hier offen auftreten und ihre Banner tragen. Die ungarische Polizei bleibt während der gesamten Veranstaltung passiv. Lediglich als zu Beginn des Gedenkzuges antifaschistische Parolen ertönen, ist kurzzeitig Nervosität zu bemerken. Eine kleine Gruppe zeigt am Eingang des Parks lautstark ihren Protest. 

Hitler, „größter Staatsmann der deutschen Geschichte“

Auf ein paar Umwegen gelingt es schließlich doch, direkt an den Aufmarschort am Fuße des Soldatendenkmals zu gelangen. Lange brauchen die Ordner nicht, um das zu bemerken, doch sie haben ihren Versuch, journalistische Arbeit komplett zu verhindern, sichtlich aufgegeben. Sie beschränken sich auf böse Blicke und möglichst einschüchternde Präsenz. Dennoch ist die Situation angespannt. Die Organisator_innen geben sich alle Mühe, möglichst deutlich zu vermitteln, dass Medien unerwünscht sind. Eine Durchsage weist die Teilnehmer_innen des Gedenkens an, keinesfalls mit der Presse zu sprechen, auch physisch wird jede Person, die nach Journalist_in aussieht, auf Abstand gehalten. Die Frage, ob die Polizei notfalls einschreiten würde, ist schwer abzuschütteln.

Vor der Kranzniederlegung werden zwei Redebeiträge gehalten. Zuerst spricht ein Vertreter der Schwedischen Widerstandsbewegung, einer neonazistischen Partei, der bereits Bombenanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte nachgewiesen wurden. Er schwört die Anwesenden auf den Kampf gegen den „wahren, den ewigen Feind“* ein, der Medien und Banken kontrolliere. Im bekannten antisemitischen Muster der jüdischen Weltverschwörung benennt er diesen Feind als „die kosmopolitischen Globalisten“. Der Aufruf kommt an. Er wird von der ansonsten eisern schweigenden Menge mit Applaus bedacht. In der ersten Reihe nickt ein Mann grimmigen Blickes energisch und offenbart dabei das Tattoo eines SS-Totenkopfes auf seinem Hals. „Der Krieg ist noch nicht vorbei. Wir werden obsiegen“ schreit der Redner Abschluss ins Mikrophon. Die Worte hallen in der Stille nach. 

Die zweite Wortspende beschwört einen „Auftrag“, jenen „Kampf bis zum Ende zu führen“, der ab 1933 in Deutschland begonnen worden sei, und verpflichtet die Anwesenden auf die „Thesen des Nationalismus und Sozialismus“. In seiner Heimatstadt Dortmund würden diese Worte den Politiker der Partei Die Rechtewohl vor Gericht bringen. In Budapest allerdings braucht er keine Konsequenzen zu fürchten. Um auch noch die letzten Zweifel an seiner Gesinnung auszuräumen, schließt er die Rede mit einem Zitat Adolf Hitlers, den er zum „größten Staatsmann der deutschen Geschichte“ erhebt. Selbst diese Form der Verehrung für den Diktator und Massenmörder verhallt unwidersprochen. Auch die vereinzelt umstehenden Polizist_innen zeigen weiterhin nichts als zur Schau gestelltes Desinteresse. 

„Mocskos náci!“ – Ein Fünkchen Widerspruch

Als das Gedenken mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes endet, zerstreut sich die Menge rasch. Die antifaschistische Kundgebung – sie ist mittlerweile auf etwa siebzig Personen angewachsen – wurde inzwischen zum Széll Kálmán tér, dem vormaligen Treffpunkt, zurückgedrängt. Punkige Musik schallt aus tragbaren Boxen über den Platz, Regenbogenfahnen werden geschwenkt. Eine Sambagruppe, gekleidet in grellem Rosa, trommelt und tanzt. Der Kontrast könnte schärfer kaum sein. Der Weg der abströmenden Neonazis führt direkt daran vorbei. Jener Mann, der gleich zu Beginn mit dem Hitler-T-Shirt aufgefallen war, brüllt angesichts der Gegendemonstrant_innen mit schwerem ungarischen Akzent „Juden raus“ und zeigt erneut den Hitlergruß. Wieder und wieder. Die durchwegs jugendlichen Teilnehmer_innen der Gegenkundgebung entgegnen mit „Mocskos náci!“-Rufen, was sich als „Scheiß Nazis“ übersetzen lässt. Auf ihrem Banner steht „Refugees Welcome!“. Immer mehr Rechtsextreme rotten sich um die Kundgebung zusammen, die Situation wird zunehmend bedrohlich. Ein Journalist, der diese Situation mit der Kamera dokumentiert, wird von einem der Neonazis bespuckt und mit einer unverständlichen Schimpftirade überschüttet. Als schon eine Traube an Neonazis, darunter Männer der berüchtigten Gewalttäter von Blood & Honour, direkt vor den Antifaschist_innen steht, bildet die Polizei schließlich einen Kessel um die Kundgebung, schreitet aber nicht weiter ein. Dieser kleine, bedrängte Protest soll am diesjährigen Tag der Ehredas einzige Zeichen des Widerspruchs bleiben. 

Für die Neonazis hingegen ist diese Gedenkkundgebung erst der Auftakt. Kaum eine Stunde später versammeln sich Tausende an der Budapester Burg, um beim Marsch der Ehre den ,heldenhaften‘ Ausbruchsversuch der faschistischen Truppen nachempfinden zu können. Seit 1997 findet diese behördlich genehmigte Wanderung Jahr für Jahr statt, als Reenactment, als Nachstellung der historischen Schlacht. In der Abenddämmerung schlängelt sich ein Strom aus Menschen die Hügel der Budapester Vorstadt hinauf. Wieder sind Teilnehmer_innen aus ganz Europa dabei, auch österreichische Dialekte sind im Stimmengewirr zu vernehmen. Manche tragen bunte Funktionskleidung, mit Walkingstecken und Trekkingschuhen. Andere historische Uniformen, einen Stahlhelm auf dem Kopf. Es sind vor allem Uniformen der deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS. Einige tragen sogar Gewehre bei sich, niemand stört sich daran. Kaum jemand macht sich die Mühe, sich zu vermummen. Bis zum Morgengrauen dauert der Marsch. Parallel findet ein neonazistisches Konzert statt. Was dort hinter verschlossenen Türen stattfindet, wenn schon vor aller Augen die Hakenkreuzfahne weht, lässt sich nur erahnen. 

Der Tag der Ehre zeigt exemplarisch, dass sich Rechtsextreme in Europa wieder im Aufwind sehen. Sie sind zugleich Schatten der Vergangenheit und Vorboten eines noch autoritärer werdenden politischen Klimas. Neonazis haben wieder das Selbstbewusstsein, offen zu zeigen, wes Geistes Kind sie sind. Diese Offenheit ist ein Warnsignal, ihre Selbstsicherheit eine schwelende Gefahr. 

* Zitate gemäß eigener Audio-Aufnahmen, teilweise aus dem Englischen übersetzt.  

Die Reportage ist zuerst im Medium Zeitgenossin der ÖH Uni Wien erschienen.

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